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Wieso wir mit einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung zusammengearbeitet haben 

Annina Arnold

Nachhaltigkeits-Expertin im Bereich faire Mode und bewusstes Leben.

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Was sind Werkstätten für Menschen mit Behinderung? 

Werkstätten für Menschen mit Behinderung (offiziell: Werkstatt für behinderte Menschen, WfbM) haben in Deutschland eine lange Geschichte: schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Arbeitsstätten speziell für Menschen mit Behinderungen gegründet. Nach dem Zweiten Weltkrieg etablierten sich „Beschützende Werkstätten“, 1974 verabschiedete der Deutsche Bundestag eine im Wesentlichen bis heute gültige Werkstattkonzeption. 2017 arbeiteten 275 110 Menschen in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Die Aufgabengebiete sind vielfältig: Montage- und Verpackungsaufträge gehören genauso dazu wie Eigenproduktionen, z.B. aus Holz oder Textilien. Auch Garten- und Landschaftspflege, Wäscherei, Druck und Aktenvernichtung sind einige Beispiele. Das Ziel der Werkstätten ist eine Teilhabe der Beschäftigten am Arbeitsleben. 

Welche Kritik gibt es an Werkstätten für Menschen mit Behinderung? 

Mittlerweile gibt es immer mehr Kritik: eine höhere Bezahlung und eine bessere Teilhabe, nicht nur am Arbeitsleben, sondern auch am Arbeitsmarkt sind häufig genannte Forderungen. Auch die UN kritisiert Deutschland für die exklusiven Werkstatt-Strukturen. 

Unsere Verbindung zu Werkstätten für Menschen mit Behinderung

Wir möchten bei einer solch wichtigen Thematik nicht still bleiben. Beim Design unseres Zero Waste Shoppers setzten wir uns intensiv damit auseinander. Statt wie sonst von Näher:innen in Portugal haben wir uns dafür entschieden, die Tasche in Deutschland/Gladbeck von Menschen mit Behinderungen nähen zu lassen. Das hat einen teils persönlichen Grund: für Maike Vierkötter, die Designerin der Tasche, gehörten Menschen mit Behinderungen in ihrer Kindheit und Jugend genauso zum Alltag wie Menschen ohne Behinderungen. Mit der Zeit änderte sich das und sie merkte, dass nicht nur ihr das so geht. Deshalb nutzte sie das Projekt als Möglichkeit, Menschen mit Behinderungen einzubeziehen – der Designprozess stand schon, aber ihr fehlte noch eine transparente Nähwerkstatt. So kam es zur Kooperation mit dem Caritasverband Gladbeck e.V. Vor Ort besuchte Maike die Werkstatt, um sicherzugehen, dass diese ihren und unseren Ansprüchen genügte – vor allem ein faires Miteinander, eine entspannte Stimmung und Respekt waren ihr dabei wichtig.

Was wir aus der Zusammenarbeit gelernt haben

Was wir mittlerweile gelernt haben: auch wenn wir keinen niedrigen Preis zahlen, fühlen sich die Stundenlöhne der Beschäftigten nicht so fair an. 2019 bekommen Werkstattbeschäftigte durchschnittlich 155 Euro – pro Monat. Auch bei unserer Partnerwerkstatt sieht das ähnlich aus. Die Näher:innen müssen sich den Lohn selbst erwirtschaften, mindestens 70% des Arbeitsergebnisses wird als Lohn ausgezahlt, der Rest fließt in Investitions- und Lohnrücklagen.

Wir haben aber auch gelernt, dass das Thema komplexer ist, als die reine Zahl zu betrachten. Zusätzlich zu diesem Entgelt haben die Beschäftigten Anspruch auf individuelle Betreuungs-, Bildungs-, Förderungs- und Therapieleistungen – wenn benötigt, während ihres gesamten Arbeitslebens. Auch in unserer Partnerwerkstatt brauchen die Menschen mit Behinderungen auf sie individuell angepasste Arbeiten beziehungsweise Arbeitsschritte. Dabei steht nicht ihre Leistung im Vordergrund, sondern sie selbst mit dem Erhalt und der Förderung ihrer vorhandenen Fähigkeiten. Das ist der deutliche Unterschied zu einem reinen Wirtschaftsunternehmen.

Eine weitere Aufgabe der Werkstätten ist es, Beschäftigte auf eine Anstellung in der regulären Arbeitswelt vorzubereiten – tatsächlich findet ein solcher Wechsel aber nur selten statt. Dabei stellt sich auch die Frage, inwiefern der allgemeine Arbeitsmarkt bereit und fähig ist, Menschen mit Behinderungen aufzunehmen. Laut unserer Partnerwerkstatt ist für die meisten Beschäftigten das Wichtigste, einen strukturierten Alltag zu haben, gemeinsam etwas Sinnhaftes zu tun, gemeinsam zu essen, Neues zu lernen und sich zu entwickeln.

Das Gleiche kann man auch über uns als Team bei SALZWASSER sagen. Wir wünschen uns eine faire Bezahlung von Menschen mit Behinderungen in Werkstätten, eine höhere (politische, wirtschaftliche und soziale) Teilhabe an der Gesellschaft, ein Leben und Arbeiten miteinander und eine Anerkennung und Respekt gegenüber den Fähigkeiten aller Menschen.

Ein weiterführenden und informativen Artikel findest du beim Enorm Magazin.